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Stuttgarter Hausarzt erklärt das System Wollen die Kassen schlimmere Diagnosen? Deutsche Ärzte würden ihre Patienten kränker schreiben als sie es sind - weil sie dazu von Krankenkassen angeregt und auch belohnt würden. Das hat der Chef der Techniker-Krankenkasse erklärt. Kassenvertreter in der Arztpraxis Der Stuttgarter Internist und Hausarzt Suso Lederle kennt das Dilemma, das inzwischen jede Diagnose einer Standard-Erkrankung mit sich bringt: "Erst einmal gibt es übergeordnete Diagnosen, zum Beispiel Diabetes. Dann wird zusätzlich noch gefordert - auch von den Krankenkassen ein gewisser Druck gemacht - dass wir sagen, vielleicht besteht auch noch eine Augenkomplikation oder die Nerven oder die Niere ist geschädigt. Das geht alles in diese Klassifikation der Diagnosen ein und dadurch ist der Patient jeweils natürlich auch kränker." Krankenkassen besuchen Ärzte, um Diagnose-Daten abzusprechen Der Risikostrukturausgleich zwischen den gesetzlichen Kassen: Es geht um viel Geld Je kränker - also je schlechter die Diagnose-Klasse ausfällt - desto mehr Geld gibt es für den Patienten im bundesweiten Krankenkassen-Finanzausgleich. Dieses Geld bekommt nicht der Arzt, sondern seine gesetzliche Krankenversicherung. Dabei geht es um mehrere Hundert Millionen Euro. Deshalb informieren die Kassen die Mediziner ständig über die enorme Bedeutung ausführlicher Diagnose-Daten. Dazu Suso Lederle: "Jetzt sind die ersten Kassen - vor allem die große AOK - dabei, sogar persönlich vorbeizukommen und zu sagen, könnte man hier nicht noch sagen, es ist eine Komplikation da oder der Verlauf ist schwerer. Dann kann man diese Codierung ändern - wir nennen das optimieren. Das ist natürlich für die Krankenkassen durchaus erfreulich." Prämienzahlungen von der Techniker-Krankenkasse? Erfreulich für die Versicherung, aber auch erfreulich für andere Beteiligte? Der Chef der Techniker-Krankenkasse, Jens Baas, behauptet, dass Ärzte bei ihren Bemühungen, es den Kassen Recht zu machen, Patienten wesentlich kränker machen als sie sind. Dafür würden Mediziner zur Belohnung eine Prämie von zehn Euro bekommen. Für den SPD-Gesundheitsexperten Professor Karl Lauterbach ist dies eine Selbstanzeige von Jens Baas. "Die Vorwürfe sind sehr interessant, weil Herr Baas ja sagt, dass er selbst solche Zahlungen bei seiner Krankenkasse, der Techniker Krankenkasse, in Auftrag gegeben hat. Hier kann ja ganz konkret ermittelt werden, wofür er bezahlt hat. Hat er bezahlt dafür, dass die Ärzte besser codieren - das, was beim Patienten tatsächlich die Diagnose war? Oder, ob das Anreize waren, falsch zu codieren - also die Patienten kränker zu codieren als sie sind? Dann wäre das eine Anleitung zum Betrug." Dies könne nach Meinung von Lauterbach auch dazu führen, dass Patienten falsch behandelt werden könnten, wenn nämlich die manipulierten Diagnosen von anderen Ärzten abgerufen würden. Manipulierte Diagnosen im Auftrag der AOK? Die AOK - die vom Chef der Techniker-Krankenkasse indirekt beschuldigt wird, von manipulierten Diagnosen besonders zu profitieren - wehrt sich. Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbands, dazu: "Dieser Rundumschlag gegen Ärzte, Aufsichten und Krankenkassen vom Chef der größten gesetzlichen Krankenkasse erstaunt alle. In Wirklichkeit ist das alles nur eine vorgezogene Halloween-Aktion. Tatsächlich geht es dem TK-Chef vor allem um die Diskreditierung des Risikostrukturausgleichs (RSA) und Verunsicherung auf breiter Front." Die AOK Baden-Württemberg betont, sie sei "von den an der Öffentlichkeit kursierenden 'Optimierungsvorwürfen' nicht betroffen", da sie keine Manipulationen an der Kodierung vornehme und auch keinerlei Manipulationsanreize für Ärzte setze. Bestrebungen, den Risikostrukturausgleich manipulationsresistenter zu machen und für eine höhere Diagnosequalität auf der Grundlage einheitlicher Kodierrichtlinien zu sorgen, unterstütze auch die AOK Baden-Württemberg. Klar ist die Aussage des Stuttgarter Hausarztes Suso Lederle. Er habe noch nie von dieser Zehn-Euro-Prämie gehört und halte sie auch für völlig absurd. Quelle: Südwestdeutscher Rundfunk (SWR) vom 11.10.2016