2m 25sLänge

Der Chef der Techniker Krankenkasse (TK), Jens Baas, hat mit seinen Vorwürfen gegen die eigene Branche eine Debatte um Milliardenschummeleien in der gesetzlichen Krankenversicherung ausgelöst. Der Lobbyverband GKV führte die Manipulationen auf "mangelnde Transparenz bei den Kassenabrechnungen" zurück. Der Interessenverband kommunaler Krankenhäuser forderte die Staatsanwaltschaft auf, Ermittlungen einzuleiten. Baas hatte in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" erklärt, in seiner Branche werde im großen Stil bei der Abrechnung von Leistungen gemogelt. Wörtlich meinte der Chef der größten deutschen Krankenkasse: "Es ist ein Wettbewerb zwischen den Kassen darüber entstanden, wer es schafft, die Ärzte dazu zu bringen, für die Patienten möglichst viele Diagnosen zu dokumentieren." Hintergrund der Vorwürfe ist der sogenannte Risikostrukturausgleich - ein System, das dafür sorgt, dass Kassen mit überdurchschnittlich vielen alten und kranken Mitgliedern von den übrigen Kassen alimentiert werden. Diese Regelung wird den Schilderungen Baas' zufolge offenbar von Ärzten und Krankenkassen systematisch missbraucht: "Die Kassen bezahlen zum Beispiel Prämien von zehn Euro je Fall für Ärzte, wenn sie den Patienten auf dem Papier kränker machen." Es gebe sogar Verträge mit Ärztevereinigungen, die mehr und schwerwiegendere Diagnosen zum Ziel hätten. Die Kassen ließen sich dabei von Unternehmensberatern helfen. Zwar räumte Baas ein, dass auch die TK manipuliere. Besonders intensiv würden die Schummeleien aber von den regionalen Krankenkassen betrieben. "Sie bekommen 2016 voraussichtlich eine Milliarde Euro mehr, als sie für die Versorgung ihrer Versicherten benötigen." Ganz offentlich meinte Baas damit auch die AOKs. Die Ersatzkassen hingegen, zu denen auch Baas' Techniker Krankenkasse gehört, bekämen in diesem Jahr 700 Millionen Euro weniger, als sie tatsächlich bezahlen müssten. Der Argumentation des TK-Chefs zufolge liegt das offensichtlich schlicht daran, dass die Ersatzkassen zu wenig manipulieren. Die Vizechefin des Interessenverbands der kommunalen Krankenhäuser, Susann Breßlein, begründete ihren Ruf nach der Staatsanwaltschaft damit, dass es sich um "kein Kavaliersdelikt" handele. Stattdessen könnten die Mauscheleien "das Vertrauen der Versicherten in die Seriosität der Kostenträger erschüttern". Breßlein nannte es "empörend", dass der TK-Chef das Eingeständnis systematischen Abrechnungsbetrugs "so beiläufig erwähnte, als handele es sich um eine Ordnungswidrigkeit für Falschparken". Auch der Essener Gesundheitsökonom Jürgen Wasem fordert Konsequenzen. "Die Aufsichtsbehörden der Krankenkassen sind zuständig und müssen Verstöße konsequent aufdecken und verfolgen." Patienten auf dem Papier kränker zu machen, sei "verboten und kriminell". Quelle: http://www.tagesschau.de/inland/krankenkassen-143.html